Archiv - Langzeitgewahrsam beim Castortransport 2008

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Ich habe 2016 meine Hompepage neu gestaltet. Auf dieser Seite befindet sich die Kurgeschichte aus meinem Buch "Kommen Sie da runter!" zu meinem Langzeitgewahrsam 2008.

Die Informationen (Berichte, Videos, gerichtliche Auseinandersetzung, politische Auseinandersetzung) zu meinem Langzeitgewahrsam 2008 befinden sich nun auf der

Archiv-Seite zu Luftakrobatik gegen Atomtransporte.

Vorm Castortransport 2008 wurde ich 3,5 Tage präventiv in Langzeitgewahrsam oder Unterbindungsgewahrsam (manche sagen Schutzhaft) genommen und unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten, weil die Polizei meine Kletteraktionen gegen den Castortransport so sehr fürchtet. Ich hatte mich vor dem Castortransport an einer Kletteraktion von Robin Wood auf der Elbe-Seiten-Kanal-Brücke in Lüneburg beteiligt.Meine Ingewahrsamnahme hatte die Lüneburger Polizei u.a. in Person des Polizeipräsidenten Friedrich Niehörster (wie man es im NDR Video sieht...) und es Polizeidirektors Brauer, der die Festnahme vor Ort persönlich durchführte. Ich wurde aus unserer Aktionsgruppe als Einzige in Gewahrsam genommen. Die Akte mit der "Gefahrenprognose" mit der der Gewahrsam begründet wurde, hatte die Polizei bereits 8 Monate zuvor angelegt. Die politische Justiz spielte schließlich mit. Atomkraftgegner sind gefährlich, nicht der Castor... Ich wurde 3.5 tage präventiv festgehalten. Zur Verhinderung von einer vielleicht Ordnungswidrigkeit.

Die Strafbarkeit des Sich-abseilen-über-der-castorstrecke ist nicht einmal obergerichtlich geklärt und Amtsgerichte haben Betroffenen mehrfach freigesprochen (wie mein Freispruch aus Steinfurt sowie die Freisprüche vom AG Hannover es zeigten). Das war eine Verhaftung in der Möglichkeitsform zur Verhinderung einer vielleicht Ordnungswidrigkeit - Falschparken ist auch eine Ordnungswidrigkeit. Also wer falsch parkt sollte aufpassen! Oder war dass doch schlicht eine politisch motivierte Festnahme gegen eine Aktivistin die mit ihrem Engagement einfach nur "stört"? Die Beschlüsse vom Amt- und Landgericht sowie die Aussagen vom Polizeipräsidenten im NDR lassen diesen Schluss zu.

archive - garde à vue préventive de longue durée, Castor 2008

Kurzgeschichte aus meinem Buch "Kommen Sie da runter!" zu meinem Langzeitgewahrsam 2008

Wenn der Staat seine BürgerInnen schützt

November 2008. Der Castor kommt ins Wendland. Eine Aktivistin sitzt für rund dreieinhalb Tage in Langzeitgewahrsam – vorsorglich. Nein, der Staat will sie nicht vor dem atomaren Strahlenmüll schützen. Die Polizei schützt die potentiell ungehorsame Aktivistin davor, unter Umständen eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Sie könnte ja gegen den Castor-Transport mit einer Kletteraktion in luftiger Höhe demonstrieren wollen und dafür eine Anzeige kassieren. Wie ungeheuerlich! Deshalb soll sie – so die übereinstimmende Begründung von Polizei und Gerichten, die ihre entsprechenden Beschlüsse bereits vor Anhörung der Betroffenen gefasst haben – »zur Gefahrenabwehr« weggesperrt werden.

Eine solche Sonderbehandlung bekommt nicht jedeR. Die Aktivistin hatte sich mit drei weiteren Robin-Wood-KletterInnen drei Tage vor dem Atommülltransport ins Zwischenlager Gorleben an einer Aktion auf einer Bahnbrücke über der Castor-Strecke in Lüneburg beteiligt, um ihren Protest friedlich zum Ausdruck zu bringen. Nach der Räumung wurde sie in so genannten Langzeitgewahrsam zuerst in die Polizeiinspektion Lüneburg und anschließend nach Braunschweig verbracht. Die anderen drei KletterInnen hingegen kamen mit einer schlichten Personalienkontrolle davon.

Die Haftbedingungen im Langzeitgewahrsam sind alles andere als gemütlich. Aber was soll’s? Etwas Ersatzbestrafung ist da sicher gewollt. Schließlich sollte sich die Betroffene ja darüber freuen, derart vor einer erneuten Anzeige wegen Baumklettern geschützt zu werden. Zudem legt die Polizei Wert darauf, dass die Aktivistin sich in Gewahrsam nicht verletzt, daher darf sie so gefährliche Gegenstände wie Stift und Papier nicht erhalten. Und wenn ihr das nicht passt, kann sie sich ein Bild davon machen, wie die OrdnungshüterInnen sie überzeugen möchten: An der Wand des Gewahrsamtraktes der Polizeidirektion in Braunschweig-Querum hängen aussagekräftige Bilder, die amtliche Fesselungs- und Foltertechniken darstellen. Eine Delle in der Wand wurde sorgfältig umrahmt. »Kopfstoß gleich kopflos« lautet die Bildunterschrift. Die BeamtInnen haben sogar Humor. Auf Initiative von AktivistInnen und weiteren UnterstützerInnen wurden Bilder von den Zuständen in der Braunschweiger Polizeidirektion öffentlich. Es fand eine Pressekonferenz statt, worauf eine gemeinsame Begehung der Gewahrsamzellen zusammen mit BeobachterInnen von Amnesty International und einer Landtagsabgeordneten folgte. Die Bilder sorgten für große Empörung in der Öffentlichkeit. Kurz darauf teilte der Braunschweiger Polizeipräsident schriftlich mit: »Die Fotos mit Fesselungsbeispielen im Braunschweiger Polizeigewahrsam wurden entfernt.« Die Gewahrsamsordnung für Niedersachsen sei mit Wirkung zum 1.1.2009 geändert worden, um den »Forderungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe« nachzukommen.

Doch unsere Geschichte ist längst nicht zu Ende. Wenige Monate nach der Inge- wahrsamnahme flatterte der Aktivistin ein Strafbefehl ins Haus. Sollte die Polizei für ihre menschenverachtende Handlung nun zur Rechenschaft gezogen werden? Aber nein, Fehlanzeige! Der Strafbefehl richtete sich gegen die Aktivistin. Statt einer Ordnungswidrigkeitsanzeige wegen Kletterns erntete sie nun also eine Strafanzeige. Der Vorwurf lautete »Widerstand« und »Körperverletzung«. Die Polizei hatte der Gefangenen innerhalb von dreieinhalb Tagen Gewahrsam einen ca. 30-minütigen »Freigang« gewährt. »Frei« heißt hier: mit Handfesseln an eine Polizistin gebunden. Statt sich zu bedanken, weigerte sich die Gefesselte, sich vom Sonnenschein zu verabschieden und freiwillig in die fensterlose, weiß gekachelte Zelle zurückzukehren.

Aus der Akte ist zu entnehmen, die Gefangene habe sich passiv verhalten und »schwer« gemacht. Die Polizei war offenbar der Meinung, die Angeklagte könne das Gesetz der Schwerkraft aufheben und schwerer wiegen, als dies eine Waage anzeigen könne. Und der arme verletzte Polizist wisse nicht mehr, wann und wo er sich seine »Schürfwunde« eingeholt habe. Da werden einem beim Lesen die Augen ganz schön feucht.

Dank der Bemühungen des Rechtsanwaltes der Aktivistin wurde das Theaterstück dann doch nicht vor dem Amtsgericht Braunschweig aufgeführt. Das Verfahren wurde stattdessen eingestellt. Die Staatsanwaltschaft wollte zwar zunächst keine Einstellung auf Staatskosten annehmen, die Aktivistin aber blieb stur und setzte sich schlussendlich durch.

Die Behörden verfehlten übrigens ihr Ziel, die Umweltschützerin von ähnlichen Aktionen abzuhalten. Sie enttarnte seither weitere geheime Atomtransporte und hielt diese erfolgreich auf. Mit Staatswillkür ist der Widerstand nicht kleinzukriegen.